intro
Dieser Text ist ein Versuch. Der darin besteht, das Phänomen Luftgitarrespielen aus der Popkultur zu leihen und für die Kunstpädagogik fruchtbar zu machen[i]. Es soll der Umriss einer Luftgitarrenkunstpädagogik gezeichnet werden.
„Du hast wohl zu viel Zeit“ sagte ein Kollege zu mir, als ich ihm von der Idee, ein kunstpädagogisches Seminar über das Luftgitarrespielen zu veranstalten, erzählte. Ich würde sagen: Es ist ein Versuch, die Zeit, in der ich lebe, ernst zu nehmen[ii]. Das meint, die uns derzeit umgebenden Phänomene der Gegenwartskultur zum Teil meiner Überlegungen zu machen. Warum aber ausgerechnet die Luftgitarre? Zuerst einmal: Weil alle sie spielen können. Es gibt keine finanziellen Hürden. Das einzig Schwierige ist die Überwindung einer Hürde, die ich jetzt mal „Peinlichkeitsgrenze“ nenne. Doch davon später mehr.
verse
Luftgitarre spielen ist ein Phänomen der Popkultur. Als Metapher kommt sie gelegentlich auf, wenn der Vorwurf im Raum steht, Inhalte seien „aus der Luft“ gegriffen oder wenn „nur“ imitiert werde, , ohne dass dabei selbst „etwas eigenes“ (in diesem Falle: Töne) erzeugt wird[iii]. Doch was ist das eigentlich, Luftgitarre spielen?Die Luftgitarre ist ein Instrument, das sich durch Absenz definiert: Der Körper nimmt eine Haltung – und das nicht nur auf den Körper bezogen- ein: Breitbeinig stehend, leicht in den Knien, etwas zurückgelehnt[iv]. Die Hände zeigen die Position und das Spielen des imaginierten Instruments an. Und obwohl da in den Händen nichts ist, ist innerhalb einer westlich geprägten Kultur klar, was dort hingedacht werden soll. Die Musik, zu der das nicht vorhandene Instrument gespielt wird, kommt vom Band oder von der Band beim Konzert. Das Spielen einer Luftgitarre ist jedoch nicht nur eine Imitation einer bestehenden Choreografie zu Musik. „Sie ist ein wichtiges Ausdrucksmittel der Teilhabe an der Rockkultur“[v] Aline Westphal, deutsche Weltmeisterin im Luftgitarrespielen 2011 und Kulturwissenschaftlerin, beschreibt „dass in den 1960er Jahren immer mehr Musiker neben der Gitarre auch Luftgitarre spielen“[vi] ein Trend, der mit Joe Cockers legendärem Woodstock – Auftritt 1969 weltweit bekannt wurde. Westphal vertritt die These, dass der Sänger Cocker auf der Bühne das „Musik machen darstellt“[vii]. Zumeist von Musiker_innen ausgeübt, fand das Spielen des imaginierten Instruments den Weg auf die andere Seite der Bühne – auf die Tanzfläche. Das Vermittlungspotential, das entsteht, wenn gemeinsam – auf der Bühne und im Publikum, simultan zu live produzierter Musik – Luftgitarre gespielt wird, ist eine nähere Betrachtung wert, die in diesem Rahmen jedoch nicht weiter verfolgt werden kann.
Der Nachvollzug von Technik und Pose eine/r Gitarrist/in kann weit mehr als bloßes Imitieren sein. Es ist das Ergreifen einer Pose, das Darstellen, aber auch das Einverleiben (im Sinne des eins seins mit und) von Musik – also eine Haltung. So ist sie ästhetische Praxis zu verstehen: „Die Luftgitarre ist als Reaktion auf kollektiv erfahrbare Musik entstanden, sie ist Ausdruck von Teilhabe an der Rockkultur und sie funktioniert nur als Feedback in einem Regelkreis von ästhetischer Produktion und Rezeption (…)“ schreibt Matthias Mertens 2009[viii]. Das zeigt sich auch an den weltweit ausgetragenen Wettbewerben, innerhalb derer Programme choreografiert, Kostüme entworfen oder auch Luftgitarren-Musicals aufgeführt werden[ix].
chorus
Im Sommersemester 2015 fand ein Seminar mit dem Titel: „Luftgitarrenkunstpädagogik. Positionen der Kunstpädagogik zwischen Kunst, Bild und Popkultur“[x] am Institut für Kunst und Kunsttheorie der Universität zu Köln statt. Beginn des Seminars war die Frage, welche Fragen sich eigentlich gerade diejenigen stellen, die in einigen Jahren selbst Kunstlehrer_innen werden. Mit Irit Rogoff, die im Projekt „A.C.A.D.E.M.Y.“ eine solche Frage stellte, möchte ich darüber hinaus wissen: „Was können wir von diesem Seminar lernen über das hinaus, was es uns lehren will?“ [xi] Die Studierenden setzen sich mit Fragen an Kunstpädagogik auseinander, wie etwa der nach dem Umgang mit digitalen Medienwelten und deren Folgen im Kunstunterricht, ob Künstler/innen womöglich bessere Kunstlehrer/innen sind oder wie „Freiheit“ im Kunstunterricht vermittelt werden kann. Allem zugrunde lag die Frage, wie eine Kunstpädagogik formuliert werden kann, die Phänomenen der Gegenwartskultur, wie das Luftgitarrespielen eines ist, begegnen will. Dabei entstand das
„Manifest der Luftgitarrenkunstpädagogik
Luftgitarrenkunstpädagogik ist frei. Luftgitarrenkunstpädagogik ist live. Luftgitarrenkunstpädagogik ist transparent, für alle offensichtlich. Luftgitarrenkunstpädagogik ist real und in situ improvisiert, zugleich ist sie sorgfältig geplant und inszeniert. Luftgitarrenkunstpädagogik hat kein greifbares Ergebnis oder Ende. Der Fokus liegt auf dem Prozess. Luftgitarrenkunstpädagog_innen wissen nicht immer, was aus dem Prozess entstehen wird. Aber ein bisschen Luftgitarre spielen kann jede/r.
Luftgitarrenkunstpädagogik meint: Nicht alle sollen das gleiche machen müssen. Es gibt auch Luftschlagzeug. Wir wollen jammen. Lasst uns eine Band sein.
Luftgitarrenkunstpädagogik erfordert gute Luftgitarrenkunstpädagog/innen.
Luftgitarrespieler/innen sind Kunstpädagog/innen. Kunstpädagog/innen sind Luftgitarrespieler/innen.
Wir müssen in eine neue Richtung gehen. Die Richtung muss noch bestimmt werden. Luftgitarrenkunstpädagogik könnte sein, dass wir mit Begriffen operieren, die gar nicht richtig definiert sind. Luftgitarrespielen ist Kunst ist Kunstpädagogik.“ [xii]
In diesem Seminar wurde kein Kunstunterricht geplant. Es wurden Haltungen zum Kunstunterricht diskutiert und erprobt. Und Fragen gestellt. Es wurde – erst einmal probehalber und unter Inkaufnahme eines Zurschaustellens einer lernenden Unzulänglichkeit – eine Pose eingenommen: Es wurde so getan, als ob Studierende eine Position der Kunstpädagogik einnehmen und formulieren könnten. Das erfordert Mut. Und Spaß an der Sache, denn man steht erst einmal mit „nichts“ in den Händen da – und spielt.
instrumental solo:
Wie oben gezeigt, geht es beim Luftgitarre spielen nicht um das bloße Kopieren des Instrumentspiels. Es ist eine Inszenierung, die, je nach Anlass performt wird. Die Kategorie, mit der Luftgitarrespieler/innen bewertet werden, ist „Airness (…), die besondere Gabe, die bloße Imitation zu transzendieren und das Luftgitarrespielen zu einer eigenständigen Kunstform zu erheben“[xiii].
Luftgitarrenkunstpädagogik könnte eine solche Transdendenz anstreben – und mehr „Airness“ in den Kunstunterricht bringen. Zum Beispiel, wie das obige Manifest es fordert, sich auf Prozesse zu konzentrieren, oder Unsicherheiten über nicht erschöpfend zu klärende Begrifflichkeiten auszuhalten. Im Zusammenhang mit der Formulierung der Position einer kritischen Kunstvermittlung führt Carmen Mörsch die „Peinlichkeitsfähigkeit“ an, (…) das heißt, die ästhetischen Artikulationen und Selbstrepräsentationen aller Beteiligten möglichst gleich zu werten.“[xiv]
Die Formulierung einer „Luftgitarrenkunstpädagogik“ weist auf die Schwierigkeit hin, dass nicht alles bereits beschrieben sein kann, was als dringliches Phänomen für Kunstpädagogik wahrgenommen wird. Nun unterliegt die Konzeption von Unterricht derzeit vielen, sehr unterschiedlich motivierten Reformen (Stichwort: PISA), die als Paradigmenwechsel beschrieben werden können. Doch inwiefern ist dieser immerwährende Wandel nicht schon Teil des Systems von Wissensgenerierung geworden? Die Kunstvermittlerin, Kuratorin und Theoretikerin Nora Sternfeld merkt kritisch an, dass solche, scheinbar anderes Wissen ermöglichende Wendungen, die durch ihre regelmäßige Wiederkehr im kulturellen Feld schon geradezu institutionalisiert stattfinden und damit „gouvernementale Funktion“[xv] haben können. Sternfeld zeigt auf, dass der regelmäßige Wechsel einen beständigen Zwang auf Lernende und Lehrende ausübt, die sich immer wieder dem neuen und zugleich kurzfristigen Wechsel der Perspektive adaptieren „die dazu einlädt, Bestehendes gerne zurückzulassen, Deregulierungen und Prekarisierungen zu akzeptieren und jedenfalls ständig beweglich und bereit zu sein.“[xvi] Sie regt an, sich weder gegen solch wiederkehrenden und zugleich immer neuen Wandel zu stellen; noch sich jeder Veränderung zu ergeben. Sternfelds Text endet mit dem Hinweis, innerhalb des Drucks nach Wandel nach der „möglichen Richtung der Veränderung“ zu fragen – „Und wenn sich dann etwas bewegt, dann gilt es, den Wind aufzunehmen und zu segeln.“[xvii]
Outro
Es ließe sich fragen: Warum dieser Umweg über ein Kunstwort, über eine gegenwärtige Praxis der Popkultur, um über aktuelle Vorstellungen von Kunstpädagogik zu arbeiten? Da möchte ich Irit Rogoff zitieren: „Nun, ich würde Ihnen antworten, der Sinn jeder Form von kritischer oder theoretischer Betätigung zielt nie in erster Linie auf die Lösung des Problems, sondern stets auf ein geschärftes Bewusstsein der betrachteten Situation.“[xviii] Und aus diesem Bewusstsein heraus können erneut Antworten oder Forderungen generiert werden, die innerhalb des jeweiligen Systems wirken können. Womöglich waren sie nur für diese eine Situation gültig und können somit nicht zum Kanon werden – und können ihn damit zugleich herausfordern.[xix] Zum Beispiel, indem wir (Lernende, Lehrende) uns mehr dem Fragen als dem Antworten zuwenden. Fragen, deren Antworten und daraus resultierenden Haltungen zukünftig gefunden werden wollen. In diesem Sinne: „Let there be rock.“ [xx]
Weitere Quellen:
Ute Casper: Mit der Luftgitarre zum Polarkreis. Dokumentation 45 Minuten, 2011. SR/ Phönix
Joe Cocker: With a little help from my friends. Woodstock, 1969 [3. Juni 2015]
Endnoten:
[i] Dank an Jan Fischer aka Geeky Gisbert für mehr Einblick in das Feld der Luftgitarre.
[ii] Torsten Meyer: Next Art Education. 9 essential Theses. In: Torsten Meyer/ Gila Kolb (Hg.): What´s Next? Art Education. Kopaed München 2015, S. 218.
[iii] Vgl. den blogpost „Luftgitarren-Kongress: Dienstkleidung“ von Torsten Meyer, 2009, eingesehen unter: http://medialogy.de/2009/12/30/luftgitarren-kongress-dienstkleidung/ [03. Juni 2015].
[iv] Grundhaltung. Weitere Haltungen siehe: Bruno MacDonald: Luftgitarre. Und wie man (sie) richtig rockt. Moewig, Hamburg 2012.
[v] Aline Westphal: Kulturgeschichte der Luftgitarre. Science Slam (youtube –Kanal), veröffentlicht am 02.03.2015. https://www.youtube.com/watch?v=VpnpjWNzCmk [03. Juni 2015], Minute 2:52.
[vi] Ebd., Minute 5:02.
[vii] Ebd., Minute 5:10.
[viii] Mathias Mertens: Luftgitarrespielen. Die Geburt der Musik aus dem Geist der Resonanz. Eingesehen unter: http://metal-matters-conference.blogspot.de/p/die-abtsracts.html, [03. Juni 2015]
[ix] Vgl.: http://www.spiegel.de/fotostrecke/luftgitarren-oper-nicht-nachdenken-abrocken-fotostrecke-70907-10.html, [03. Juni 2015]
[x] Vgl.: http://aligblok.de/luftgitarrenkunstpadagogik/ [03. Juni 2015]
[xi] Originalsatz: „Was können wir von dem Museum lernen, jenseits von dem, was es uns intendiert zu lehren?“ In: Irit Rogoff, „Wenden“, in: Beatrice Jaschke/Nora Sternfeld (Hg.): Educational turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung. Turia + Kant, Wien 2012, S. 33.
[xii] Sarina Abram, Jenny Bejm, Emma Bensel, Mona Dasbach, Sarah Kalisch, Katharina Loh, Luise Menne, Sandra Schwamborn, Jakob Sponholz, Samantha Piechaczek, Gino Ula, Köln 2015. Nachzulesen unter: http://aligblok.de/luftgitarrenkunstpadagogik/ [03. Juni 2015]
[xiii] Jan Fischer: Glossar. In: Jan Fischer (Hg.): Air Guitar Heroes. Vom Spielen der Luftgitarre. Blumenkamp, Salzhemmendorf, 2012, S. 123.
[xiv] Carmen Mörsch: Sich selbst widersprechen. Kunstvermittlung als kritische Praxis innerhalb des educational turn in curating. In: Beatrice Jaschke/Nora Sternfeld (Hg.): Educational turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung. Turia + Kant, Wien 2012. Eingesehen unter: http://whtsnxt.net/107 [03. Juni 2015], o.S..
[xv] Nora Sternfeld: Segeln. In: Jaschke/Sternfeld (Hg.): Educational turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung. Turia + Kant, Wien 2012, S. 119.
[xvi] Ebd., S. 124.
[xvii] Ebd., S. 127.
[xviii] Irit Rogoff, „‘SCHMUGGELN‘ eine verkörperte Kritikalität“, in: Silke Boerma, Kunstverein Hannover (Hg.), Mise en Scène. Innenansichten aus dem Kunstbetrieb, Hannover 2007, S. 37.
[xix] Vgl.: Nora Sternfeld: „Wie kann ich dann in meinem Unterricht lehrend verlernen?“ Interview mit Gila Kolb und Maria Peters. In: Torsten Meyer/Gila Kolb: What´s Next? Art Education. Kopaed München, 2015, S. 333.
[xx] AD/DC 1977.