Kollaboration zwischen Kurator_innen und Künstler_innen

Fanny Gonella, künstlerische Leiterin des Künstlerhauses Bremen im Gespräch mit Julia Wagner und Claire Fröhlich im Sommer 2015.

“Im Zuge eines Seminars des Kunststudiums an der Universität Bremen, das den Titel „Collaborations“ trug, habe ich mich mit drei anderen Studentinnen zusammengeschlossen, um ein ganz bestimmtes Thema näher zu untersuchen: Kollaboration im Museum. Wir fragten uns, wie genau Kollaboration im Museum funktioniert, wie Kurator_innen mit Künstler_innen oder anderen Kurator_innen zusammenarbeiten und welche Chancen oder Konflikte dabei entstehen können. Anstatt ausschließlich in Büchern zu recherchieren, interessierte uns viel mehr die Meinung und Erfahrung einer in Bremen tätigen Kuratorin, die uns unsere Fragen direkt beantworten könnte. Ich kontaktierte die Kuratorin des Künstlerhauses Bremen, Fanny Gonella, die sich freundlicherweise auf ein Interview mit mir und einer anderen Kommilitonin einließ. Innerhalb der Gruppe bereiteten wir einen Fragekatalog vor, der uns als Basis für das Interview dienen sollte. Wir stellten uns folgende Fragen: Wie gehen Sie bei der Planung einer Ausstellung vor? a. Themenwahl, b. Raumgestaltung, c. Künstlerwahl / Arbeiten Sie in Kollaboration mit anderen Museen oder anderen Institutionen? / Was ist bei einer kollaborativen Arbeit anders? / Bevorzugen Sie Einzelarbeit oder kollaboratives Arbeiten? /  Wie sehen Sie die Beziehung zwischen KuratorIn und KünstlerIn? / Kommen (Macht-) Streitigkeiten auf? (bei der Inszenierung der Ausstellung) / Gibt es Versicherungsfragen? / Entstehen Autorschaftsfragen? / Wie gehen Sie damit um, wenn eine Ausstellung nur wenige Besucher anzieht? / Gibt es eine Kollaboration, die Ihnen besonders gefallen hat?
Unter Berücksichtigung dieser Fragen entwickelte sich ein sehr reges Gespräch, das uns einen Einblick in die kuratorische Praxis verschaffte und uns das Gebiet der Kollaboration deutlich näher brachte. Da dieser Katalog uns nur als Leitfaden diente, haben wir ihn im Gespräch nicht eins zu eins wiedergegeben, sondern eher implizit miteingebunden. Dadurch gestaltete sich das Interview deutlich freier und es entstand eine lockere Atmosphäre.” (Julika Wagner) 

Claire Fröhlich: Was sind deine eigenen Erfahrungen mit Kollaboration mit Künstlern oder mit anderen Kuratoren?
Fanny Gonella: Naja, es gibt unterschiedliche Formate. Die Ausstellung, die jetzt gerade zu Ende ging, ist auch aus einer Kollaboration mit einer anderen Kuratorin entstanden. Es hatte ein etwas ungewöhnliches Format, weil wir zusammen an einer Doppel-Einzelausstellung gearbeitet haben. Ich mache auch nächstes Jahr fast nur Kooperationen mit anderen Kuratoren und meistens geht es um Gruppenausstellungen. Man denkt sich: OK, lass uns etwas zusammen überlegen und nach gemeinsamen Interessen oder Themen schauen, und dann merkt man: Es gibt diese oder jene Möglichkeit. Man beleuchtet verschiedene Aspekte eines Themas und aus diesem gemeinsamen Denken ergibt sich eine bestimmte Substanz, die dann in eine Ausstellung umgewandelt wird.
CF: Du hattest also nicht irgendeine Idee, die du umsetzen wolltest und dir Hilfe gesucht?
FG: Das wäre eine Assistenzarbeit.
CF: Ja, aber man könnte den anderen ja auch seinen eigenen Gedanken weiterführen lassen. Aber ihr habt alles zusammen erarbeitet? Auch die Themenauswahl?
FG: Ich denke, dass es in einer Gruppenarbeit dazugehört, über seine eigenen Interessen zu sprechen. Wenn man die Leute, die man in diesem Zusammenhang anspricht, ein bisschen kennt, weiß man, dass es irgendwo gemeinsame Interessen gibt. Es entwickelt sich ein Gespräch und dann sagt man: Ach, lass uns das zusammen machen. Aber es ist nicht so, dass man denkt: Ach, mir ist zu langweilig, ich hole mir Hilfe. Das ist keine Kooperation, das ist etwas anderes. Eine Kooperation ist für mich wirklich, wenn zwei unterschiedliche Denkweisen, Erfahrungen in der Kunst aufeinandertreffen und daraus ergibt sich eine weitere Ebene, die man allein nie erreichen könnte. Und es ist so eine Art plurales Denken, weil es nicht mehr um die eine Person geht, sondern um das Dialogfeld.
CF: Wie wählt ihr die Künstler aus?
FG:  Man schickt sich die Dossiers hin und zurück und diskutiert, bis man mit einer Position einverstanden ist.
CF: Da muss man dann wahrscheinlich auch einen Kompromiss eingehen.
FG: Nein, es muss beiden gefallen. Einen Kompromiss gibt es nicht.
CF: Und wenn es etwas länger dauert, dann ist das so?
FG:  Es ist so. Im Allgemeinen hat man sich darauf eingelassen, dass man zusammen arbeitet und dann lässt man sich auch auf einen gewissen Unterschied in der Herangehensweise ein. Aber zur Künstlerauswahl: Man muss nicht nur jemanden finden, der passt, man muss auch jemanden finden, der zu dem Zeitpunkt der Ausstellung Zeit hat. Es gibt mehrere Parameter, die da aufeinandertreffen.
CF: Und generell würdest du auch sagen, dass du viel lieber in Kollaboration arbeitest als alleine?
FG: Man braucht beides. Ich finde diese Ruhe, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, konzentriert für sich zu arbeiten und selbst ein bisschen an seine Grenzen zu kommen, zu forschen und sich zu fragen: Warum bin ich daran so interessiert? extrem wichtig. Man muss sich diesen Raum schaffen, wo man sich mit sich selbst konfrontiert, also im Fall von Gruppenausstellungen. Bei Einzelausstellungen hat man immer ein Gegenüber, das ist der Künstler. Aber wenn man Gruppenausstellungen mit jemandem anderen kuratiert, dann ist man vielmehr in diesem Dialog zwischen zwei Menschen, zwei Persönlichkeiten. Das ist ein anderer Fokus. Man kommt auf andere Gedanken und das ergänzt sich.
Julika Wagner: Arbeitest du auch mit anderen Institutionen zusammen, also nicht nur mit anderen Kuratoren?
FG: Das ist schon miteinander verbunden. Kooperationen zwischen Institutionen entstehen aus dem Wunsch heraus, dass man etwas miteinander gestalten möchte, weil die Persönlichkeiten, die hier und dort arbeiten sich gut verstehen und ein gemeinsames Interesse haben. Oder man merkt ganz pragmatisch: Oh, ihr habt auch mit dem Künstler gesprochen. Warum planen wir das nicht zusammen? Das hat manchmal ganz praktische Gründe: Der Künstler kann nicht so viel auf einmal produzieren, dann bringt man beide Ausstellungen unter einen Hut und macht zum Beispiel eine Publikation, die man sich sonst nicht leisten könnte.
JW: Und wie entwickelt sich das Thema für eine Ausstellung? Ist das immer etwas Aktuelles?
FG: Nein eben nicht, sonst rennt man den Tendenzen hinterher. Bei Einzelausstellungen wird das vom Künstler festgelegt. Es gibt kein Thema in diesem Sinne. Es ist immer eine Fortführung der aktuellen Fragestellung des Künstlers. So eine Arbeit ist natürlich quasi nur eine Momentaufnahme. Man betrachtet seine Arbeit unter einem bestimmten Licht, aber es ist an sich kein Thema. Bei Gruppenausstellungen, wo es immer einen Überbegriff gibt, ist es unterschiedlich. Es gibt bestimmte Sachen, womit man sich beschäftigt. Die nächste Ausstellung ist eine Gruppenausstellung zum Thema „öffentlicher Raum“. Es wird eine Kooperation mit der Gesellschaft für aktuelle Kunst und dem Studienzentrum für Künstlerpublikationen stattfinden und jedes Haus beleuchtet das Thema unter einem anderen Blickwinkel. So hat man gelöst, dass quasi jede Ausstellung selbstständig funktioniert aber unter einem Oberbegriff steht.
CF: Hattest du auch schon einmal das Gefühl, dass irgendwie Machtpositionen entstehen, wenn man mit jemandem arbeitet?
FG: Wie meinst du das?
CF: Also dass eine Idee unbedingt durchgesetzt werden sollte, auch wenn das ein wenig gegen deine Vorstellung war?
FG: Dann kann man besser allein arbeiten, wenn man unbedingt seine Ideen durchsetzen will.
CF: Generell stimmt das.
FG: Ich glaube, da sind die Leute zivilisiert genug. Wenn sie sich selbst unbedingt positionieren wollen, dann können sie das selbst machen. Jeder macht das unterschiedlich. Ich finde es nicht interessant, wenn jemand alles bestimmt. Dann ist das keine Kooperation, dann ist das ein Verhältnis zwischen Assistent und Chef, und das ist ein anderes Modell. Manche Leute machen das vielleicht so.
JW: Wie ist das bei den Künstlern? Gibt es da Streitpunkte bei der Hängung? Wollen Künstler da ihre Vorstellungen durchsetzen?
FG: Ja, sind sie auch eingeladen worden, damit sie ihre Vorstellungen umsetzen! Also es ist nicht so, dass der Kurator allmächtig ist. Es ist aber auch nicht so, dass der Künstler sagt: “So will ich meine Vision der Welt umsetzen”. Erstmal muss man mit superknappen Budgets arbeiten, was ein bisschen das Team- Denken fordert. Und dann muss man auch schauen, dass man sich gegenseitig entgegenkommt. Man versucht, sich gegenseitig zu unterstützen und man will dem Künstler die besten Arbeitsmöglichkeiten geben, aber es muss im Verhältnis zu den eigenen Möglichkeiten der Institution bleiben. Es ist nicht möglich, dass der Künstler jede Nacht bis 05:00 Uhr arbeitet, da muss man Grenzen setzen, das ist normal. Man muss schon den Rahmen der Möglichkeiten klar machen, die eine Institution besitzt. Aber es ist nicht so, dass man dem Künstler sagt: Deine Hängung sieht nicht gut aus. Er kennt seine Arbeit, außer wenn es ein wirklich schlechter Künstler ist. Man testet auch natürlich aus. Das ist immer ein Prozess.
CF: Also, manchmal hat man eine Idee und kommt dann in den Raum es ist dann doch einfach anders?
FG: Genau, weil Ideen und deren materielle Verwirklichungen öfters voneinander abweichen. Es ist nicht so wie man sich das vorgestellt hat und dann muss man die Hängung an den Raum anpassen. Aber das ist auch das Gute daran, weil der Raum gibt einem auch etwas zurück. Er gibt einem Ideen, auf die man sonst nicht gekommen wäre. Wenn man alles vorher geplant hat, dann wirkt das schon sehr gezwungen, und man versteift die Hängung.
CF: Und vielleicht wird es dann auch schwerer zu improvisieren.
FG: Ja, man muss eh auch auf das Licht achten.
CF: Man kann ja nicht alle Tageszeiten miteinberechnen.
FG:  Das ist kaum machbar. Es gibt das Neonlicht, aber meistens ist die Ausstellung tagsüber geöffnet. Unterschiedliche Lichtverhältnisse können eine andere Atmosphäre oder einen anderen Eindruck schaffen. Bei der ersten Ausstellung hatten wir hier Holzstrukturen, dann mussten wir hier Lichter einbauen, weil die Strukturen auf einmal Schatten in den Raum geworfen haben. Wir konnten das erst merken, als die Strukturen aufgebaut waren.
CF: Stimmt, diese Wände, die man einzieht werfen ja auch gleich einen Schatten.
FG: Ja, irgendwo ist dann eine dunkle Wand.
CF: Darüber habe ich noch nie nachgedacht.
JW: Gibt es Versicherungsfragen, worauf man achten muss?
FG: Ja, es muss schon alles versichert werden, auf jeden Fall. Aber auch das Equipment, vor allem ein Projektor oder ein Flat Screen.
CF: Muss man Kunstwerke auch manchmal umhängen, weil jemand sagt, dass sie zu nah an etwas anderem hängen?
FG: Ja, aber da wärt ihr wahrscheinlich beim Restaurator besser. Weil ich bin da keine Expertin und ich stelle auch keine historischen Werke aus. Ich weiß nur von der vorletzten Ausstellung, dass es bei Papierarbeiten so ist, dass man diese nur mit einer bestimmten Anzahl von Lux zeigen darf und es darf kein natürliches Licht geben, also bei Papierarbeiten, die sich in privaten oder öffentlichen Sammlungen befinden. Aber es gibt auch mittlerweile verrückte Situationen, die mich nicht betreffen, aber z.B. bei größeren Ausstellungshäusern…ich weiß nicht mehr genau, welche Ausstellung es war…es war auf jeden Fall so, dass die Werke nicht zusammen reisen durften. Falls irgendetwas passiert wäre, wäre dann nur ein Werk betroffen worden. Das heißt, nicht nur die Versicherungssumme ist verrückt, sondern auch vom Leihgeber zu verlangen, dass die Werke getrennt reisen, falls etwas geklaut oder beschädigt wird, entspricht einem enormen Aufwand. Der Kurator verglich diese Situation mit der Royal Family: Die dürfen nicht alle im selben Flieger reisen, denn wenn ein Unfall passieren würde, träfe es alle auf einmal. Das verursacht enorme Transport- und Versicherungskosten und trägt auch dazu bei, dass immer weniger Kunstwerke reisen können, bzw. dass nur 2 oder 3 Institutionen in Deutschland sich das leisten können.
JW: Ja, bei Kunsthallen sind ja auch quasi so „Zäune“ vor den Werken, damit man dann nicht so nah herankommt.
FG:  Achso, diese Gitter?
JW: Genau, und manche sind gehängt, manche sind genagelt, das ist dann ja auch verschieden.
FG: Ja, aber es wird weiterhin geklaut, also ich habe damals als Studentin im Louvre als Aufsicht gearbeitet. Es war sehr voll, aber an diesem Tag ist trotzdem ein Bild geklaut worden. Der Dieb hat das natürlich nicht mit dem Rahmen mitgenommen. Ich glaube er hat’s abgeschnitten, gerollt und ist dann abgehauen. Es gibt, wenn man mit Leuten spricht, die dort lange als Aufsicht gearbeitet haben, ziemlich verrückte Geschichten von Diebstahl.
JW: Wir haben noch in ein paar Büchern recherchiert, zu „Ausstellung und Besucher“ usw. und da stand, bezüglich der Machtfrage, dass diese Machtprobleme dadurch entstehen können, dass Kuratoren Künstler „machen“, indem sie ihre Ausstellung inszenieren, sich dadurch auch selber ausstellen und dadurch kommt es dann zu „Machtspielchen“, unter anderem aber auch durch Autorschaftsverschiebungen oder Autorschaftsfragen: Wessen Kunst ist das jetzt? Des Kurators? Dadurch, dass er die Bilder so inszeniert, wie er sie interpretiert, liefert er dem Betrachter dann auch gleichzeitig eine Interpretation.[1]
FG: Da muss man etwas differenzieren. Es kann schon vorkommen, aber es gibt sehr unterschiedliche Situationen. Zum einen muss man sich fragen: Ist der Künstler am Leben oder ist er tot? Wenn er tot ist, dann gibt es auch die Familie, die meistens die Bildrechte besitzt aber die Werke nicht. Dann werden die Konditionen vom Leihgeber des Museums vorgegeben. Wenn der Künstler am Leben ist, gibt es zwei Fälle: Wenn es eine Einzelausstellung ist, wo er selbst dabei ist, entsteht die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Kurator. Aber es ist immer ein Kompromiss, zum einen allein wegen des Budgets. Für eine Gruppenausstellung werden Werke aus verschiedenen Sammlungen ausgeliehen. Wenn der Künstler seine Werke verkauft, gehören sie ihm nicht und er kann praktisch wenig bestimmen. Es gibt zum Beispiel verschiedene Debatten über damit verbundene Fragen: Was passiert mit Kunstwerken, die für Millionen auf einer Auktion verkauft werden? Die Leute haben das Werk für weniger Geld gekauft und verkaufen es später für eine riesen Summe und der Künstler bekommt davon nichts. Muss man dieses Risiko hinnehmen und sagen: Ok, das sind die Spielregeln, oder muss man sich darüber aufregen, dass hinterm Rücken viel Geld gemacht wird? Wenn das Werk dem Künstler nicht mehr gehört, ist es ganz schwer. Es gibt ein ganz wichtiges und interessantes Beispiel, nämlich Daniel Buren, ein französischer Künstler. Er hat schon in den 70ern oder späten 60ern ein Dokument gemacht, es heißt „Avertissement“, so etwas wie eine „Vorwarnung“, die vom Käufer unterschrieben wird, der sich damit bereit erklärt, die Bedingungen des Künstlers zu respektieren. Buren unterschreibt seine Kunstwerke nie. Es gibt eine ganze Strömung in der Kunst, sie heißt „Institutionelle Kritik“, in der die Künstler sich mit den Ausstellungsbedingungen auseinandersetzen. Sie fragen dann: Was heißt das, meine Arbeit auszustellen? Was hat das für Konsequenzen für mich? In welchem Kontext werde ich wahrgenommen? Und inwiefern bin ich Teil der Machtstruktur dieser Institution? Buren hat das zum Beispiel mit dieser Vorwarnung gelöst. Er hat dann praktisch alle Unterschriften von den Sammlern bei sich. Auf dem Markt ist es ja eigentlich immer so: wenn es viel von etwas gibt, dann kostet es normalerweise weniger. In seinen Schreiben sagt er so etwas wie: Eigentlich ist mein Bild nur so und so viel wert, wenn sich jemand dazu bereit erklärt, diese Summe dafür zu zahlen. Aber wenn niemand das Werk kauft, dann ist das nur ein ideeller Wert, kein Wert, der einer Transaktion entspricht. Meine Arbeit wird nur zu einer Arbeit, die diesen Wert hat, wenn jemand sich bereit erklärt, dieses Geld auszugeben, um diese Werk zu kaufen. Also bestimmt diese Person, dass dieses Werk zu diesem bestimmten Preis verkauft werden kann. Es ist quasi eine Machterklärung des Sammlers, der das kauft. Buren hat auch ganz genau geregelt, wie das Werk zu fotografieren ist, ob es wieder verkauft werden darf oder nicht usw.. Es ist also ziemlich schlau gemacht. Man findet dieses Dokument auch in Kunstgeschichtsbüchern.
CF: Darauf muss man erstmal kommen.
FG: Ja, es gab in den späten 60ern ganz viele Fragen dazu, weil die Museen waren wirklich „Museen“, dementsprechend gab es relativ wenig Flexibilität für andere Formate und daraus sind ganz viele Versuche entstanden, die Kunst ein bisschen anders zu präsentieren, zu vermitteln, zu verkaufen, auch speziell konzeptuelle Kunst, weil die Frage ist: Wie verkauft man konzeptuelle Kunst wenn es kein „Ding“ ist, das man sich hinhängen kann? Aber damals musste alles erfunden werden und deswegen gab es sehr viel Aktivität in dieser Richtung: Was kann man machen? Was ist überhaupt möglich? Ja, es gibt schon interessante Initiativen. Mittlerweile ist es so, dass die Institutionen all diese Informationen wieder verdaut haben. Man ist mit dieser institutionellen Kritik aufgewachsen und man kennt die negativen Seiten der institutionellen Arbeit. Wenn man aufgeklärt ist, dann versucht man, ein bisschen anders damit umzugehen, obwohl man trotzdem in dieser Institution ist. Und dann ist das eine paradoxe Situation, die ich ganz interessant finde, weil man ist gleichzeitig aufgeklärt und trotzdem Institution, also wie benutzt man dann diese Institution als Werkzeug?
CF: Das ist ein ganz neuer Aspekt. Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nicht nachgedacht.
JW: Wie gehst du denn damit um, wenn eine Ausstellung nicht so gut besucht wird? Sagst du das dem Künstler dann?
FG: Wir sind nicht im Fernsehen. Das ist zeitgenössische Kunst und das ist vielleicht der Luxus und das Interessante dran. Ich sehe die Aufgabe umgekehrt. Wenn zu wenige Leute kommen, heißt es nicht, dass die Ausstellung schlecht ist, finde ich. Manchmal trifft man Fehlentscheidungen, das kann schon immer vorkommen, aber in der Regel würde ich das nicht so betrachten, sondern dann würde ich mich fragen: Wie kann ich das anders vermitteln, damit die Leute erkennen, was mich begeistert? Denn ich lade nicht jemanden ein, weil ich eine Ausstellung machen muss, sondern weil ich etwas in seiner Arbeit gesehen habe, das mich fasziniert und das andere Leute auch sehen müssen. Wenn die Leute nicht kommen, hat das für mich nichts mit der Qualität der Ausstellung zu tun, sondern damit, was sich die Leute darunter vorstellen. Bevor die kommen, können die das eh nicht einschätzen. Es ist wirklich nur eine Vorstellung davon, was es sein könnte. Das hat nichts mit der Ausstellung zu tun. Und dann muss man sich überlegen, ob es keine Presse gab und deswegen niemand kam, oder ob es irgendwo eine größere Eröffnung gab. Es gibt so viele Faktoren. Und wir sind kein Museum, das heißt, wir müssen keine Besucherzahlen vorlegen. Wenn etwas nicht unbedingt beim Publikum sofort ankommt, dann ist das völlig egal und das muss egal bleiben. Es ist ganz wichtig, dass man sich nicht nach den Erwartungen eines vermutlichen Publikums richtet, sonst macht man die Kunst kaputt. Sonst versucht man, nur noch zu gefallen und das ist dann das Ende. Aber man kann die Entwicklungen schon ein bisschen verfolgen und man lernt ja auch daraus. Aber wir werden nicht nach den Ziffern bewertet und das ist auch gut so, sonst würde man nur bestimmte Kategorien an Künstlern zeigen und die Leute würden in ihrer „Komfortzone“ bleiben. Meine Absicht ist, dass der Besucher sich denkt: OK, ich kenne das nicht, aber soweit finde ich das ganz interessant. Man muss vielleicht ein bisschen Vertrauen entwickeln. Es geht mir eher darum, meine Begeisterung an jemanden weiterzugeben. Weil sein Werk mir etwas gegeben hat, glaube ich, dass es auch den anderen Leuten etwas geben kann.
JW: Es bleibt ja auch mehr im Kopf, wenn man mit einer bestimmten Erwartung da hineingeht und es erweist sich als komplett anders.
FG: Ja, das auch. Weil man sich ein bisschen annähern kann. Irgendwo muss ein Anknüpfungspunkt sein.
JW: Gab es denn eine Kollaboration, die dir besonders viel Spaß gemacht hat?
FG: Ja, um auch zum Thema „Überraschung“ zurückzugehen: Es war nicht unbedingt als Kollaboration gedacht. Das ist auch so ein Wort, das alles und nichts bedeutet, denn es kann eine Kollaboration für eine Publikation sein, aber es kann auch tausend andere Sachen bedeuten. In diesem Fall hatte ich den Künstler dazu eingeladen, weitere Leute einzuladen. Das war in dem Sinn nicht so ganz eine Kooperation, aber man hatte statt eines starren Verhältnisses zwischen Künstler und Kurator ein Verhältnis zwischen Gastgeber und Gast: Symbolisch habe ich ihm quasi die Schlüssel gegeben und gesagt: Jetzt darfst du auswählen. Ich hatte schon mit ihm gearbeitet, hatte ein totales Vertrauen – das ist auch wichtig – und ich wusste, er wird etwas Gutes machen, aber was genau konnte ich überhaupt nicht sagen. Ich dachte, er würde andere Künstlerkollegen mitbringen. Aber er hat Leute eingeladen, die in dem Land, wo er herkommt, gelebt haben, bevor er dort auf die Welt gekommen ist. Sie konnten ihm praktisch von dem eigenen Land erzählen, in einem Zustand, den er nicht kannte. Und das war total schön, weil es war irgendwie seine Geschichte, bevor er auf der Welt war. Das waren keine Künstler, aber sie hatten trotzdem etwas mit Kultur zu tun. Eine davon war Linguistin und hatte ein Wörterbuch über einen Dialekt geschrieben. An diese Linguistin kann ich mich sehr gut erinnern, weil ich diese Bücher so toll fand. Ein anderer hat Briefe mitgebracht. Es waren alles Leute, die da gelebt haben und er hat diese Dokumente zusammengebracht. Die Ausstellung war eigentlich sehr emotional. Ein Porträt von einem Ort, wo er herkam, aber den er nicht kannte. Das war sehr schön.
CF: Klingt auf jeden Fall sehr interessant. Wo kam er denn her?
FG: Er kam aus Vietnam. Und dann ist auch der politische Hintergrund sehr wichtig. Es handelte sich um die Zeit vor dem Krieg. Aber das war alles eher im Hintergrund. Das war eine Arbeitssituation, von der ich etwas völlig anderes erwartet hatte und dann kam dieser Inhalt auf mich zu. Und, das Schwierige war, dass ich das vertreten musste. Für ihn ist das sein Umkreis, aber für mich sind es völlig fremde Leute gewesen. Es war nun meine Verantwortung, über etwas zu sprechen, was mir unbekannt war. Ich hatte nur den Schlüssel vom Raum ausgehändigt. Das, was gezeigt wurde, waren sehr persönliche Beziehungen, Verbindungen, wo ich selbst keinen Platz hatte. Aber ich war trotzdem verantwortlich dafür. Und das war ganz interessant. Man geht da immer ein bisschen an seine Grenzen finde ich, wenn man in einer Kooperation arbeitet. Man begeht neue Gebiete, die man sonst nicht begehen würde.
JW: Aber da hat der Künstler dann ja auch ein ziemlich großes Vertrauen.
FG: Ja, muss, weil sonst kann man nicht miteinander arbeiten. Sonst hakt man an jeder Frage und so kann man sagen: Ok, das gegenseitige Verständnis ist da, wir machen das zusammen.
CF, JW: Vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Du hast uns sehr geholfen!
FG: Gern geschehen.

[1] Ziese, Maren: Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen. Bielefeld: Transcript, 2010; Søren Grammel: Ausstellungsautorschaft. Die Konstruktion der auktorialen Position des Kurators bei Harald Szeemann. Eine Mikroanalyse. Christoph Keller (Verleger), 2005.

Fanny Gonella

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Julika Wagner

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