Was brauchen wir? Oder: Was wollen wir? (Eine Tischrede)

Matthias Berthold: Anweisungen, 2005

Matthias Berthold: Anweisungen, 2005

Im Juli 2013 fand zur Museumsnacht in Dresden eine Tischgesellschaft vor dem Königspavillon am Hauptbahnhof statt. Die Frage des Abend war: “Was brauchen wir? Oder Was wollen wir?” 
Eingeladen hatten mich Konstanze Schütze und Nelly Pistorius. Leider konnte ich die Tischrede an diesem Tag nicht persönlich halten. Ich schickte sie per Mail nach Dresden. Hier nun die leicht überarbeitete Version.

Was heißt hier: WIR?
Für mich ist WIR schon das erste Problem des Kunstbetriebes. Denn gibt es ein WIR, entsteht automatisch ein IHR. Die einen, die Kunst machen, ermöglichen, ausstellen, vermitteln. DIE andern sind es, die dann Kunst anschauen (sollen). Als Kunstvermittlerin bewege ich mich zwischen den Feldern derer, die Betrachten oder anderweitig an Kunst partizipieren, und denen, die machen, kuratieren, organisieren, „im Feld sind“.
Benutze ich das „WIR“, laufe ich Gefahr, nicht mehr kritisieren zu können. (Ich bin dann ja ein Teil davon). Ich kann zudem schwerlich für ein WIR sprechen (die Überlappungen von Wir könnte situationsabhängig sein). Also fange ich bei WIR; IHR und MIR an, bzw. bei dessen Distinktion. Als Vermittlerin zwischen WIR und IHR kann ich im Dazwischen Position ergreifen. Da mein Medium neben dem Körper die Sprache ist, will ich zunächst darüber sprechen. Also darüber, wie über Kunst gesprochen werden kann. Da gibt es zumeist eine Art gemeinsames Vokabular. Zum Beispiel: Sagen wir Werk, Kunstwerk, Arbeit oder sprechen vom piece?
Das „WIR“ in der Kunst spricht eine gemeinsame Sprache. Die hat bereits einen eigenen Namen: „International Art English“. Dieses meint Begriffe, die im englischen „klingen wie schlecht übersetztes Französisch[1], die immer etwas diffus bleiben, bei denen nicht jede/r weiß, was gemeint sein kann; etwa wie die Verwendung des Wortes „the real“ anstatt „reality“.
Alix Rule, Doktorandin der Soziologie an der Columbia University und David Levine untersuchten dieses Phänomen. Sie folgern, dass Gründe für das Verwenden von Triggerbegriffen darin zu finden ist, dass sie als Werbetexte einer Ausstellung oder einer Arbeit fungieren sollen. Doch das kryptische Umschreiben künstlerischer Arbeiten, mit Christian Demand gesprochene „lyrische Ansingen“[2] ist nicht gerade ein typisch zeitgenössisches Phänomen, sondern auch in der Moderne zu finden – scheint also Tradition zu haben. Und auch im deutschen Sprachraum wird sie Gegenstand von Untersuchungen: Rahel Ziethen[3] belegte in Ihrer Dissertation „Kunstkommentare im Spiegel der Fotografie Re-Auratisierung – Ver-Klärung – Nicht-kontingente Experimente“, dass es so genannte Metatexte zu Fotografien gibt; Texte, die eigentlich der Gattung Kunstkritik angehören, denen sich im Sinne einer Kritik jedoch kein Inhalt entnehmen lässt. Die darum nur als sprachliches Co- Kunstwerk zu verstehen bzw. lesbar sind. Dennoch sind genau solche Metatexte zur Kunst auch ein Mittel der Distinktion. Entweder man/frau versteht und spricht die Sprache – oder ist nicht dabei.

Ähnlich wie im Märchen “Des Kaisers neue Kleider“ werden Formulierungen und Worte verwendet deren Potential im Glauben an ihre Relevanz liegt: „die Kuration“ statt „Hängung“, das „piece“ statt die „Arbeit“ oder, eine längere, oft anzutreffende Wendung wie: „Der Künstler, die Künstlerin hinterfragt bestehende Sehgewohnheiten“ – was wohl bei visuell wahrnehmbaren und gestalteten Phänomenen zumeist der Fall ist. Eigentlich werden in der Kunst ständig „Gegebenheiten“, „Gewohnheiten“ und „Zuständigkeiten“ „hinter-“ oder „befragt“, „unterlaufen“, „vor Augen geführt“ oder „kritisch hinterfragt“.
Hito Steyerl und Martha Rosler weisen innerhalb der Diskussion um das International Art English darauf hin, dass diese untersuchte Art des Schreibens den „bescheidenen Status derer kontrastiert, die es verfassen“ nämlich unterbezahlte, überarbeitete Assistentinnen und Praktikantinnen. [4] Sie stellen die Untersuchung von Rule und Levine infrage; denn diese nutzten, um ihre Daten auszuwerten, den british national corpus. Mit anderen Worten, sie legten an pressetexteverfassende Personen im Kunstfeld sprachliche Standards an, die der Norm eines standardisierten Sprachenlernens entsprechen. Falls dieses nicht dem Standard entsprach, galt die Sprache als irregulär. Mit anderen Worten: Ist Standard Englisch (oder Standard Deutsch) auch die Standardsprache für Sprechen über Kunst? Wer also sagt, welche Sprache WIR benutzen sollten um mit ANDEREN über Kunst zu sprechen?
Was also brauchen wir? Vielleicht ein „Hinterfragen der Sprechgewohnheiten“?
Und überhaupt, was heißt hier eigentlich: Was heißt hier: IHR? Mit welchem „IHR“ gehen WIR eigentlich um? Wer zählt sich denn zum Kunstsystem, wer darf sich dazu zählen, und wer glaubt, etwas über die Kunst sagen zu wollen?

Ich sehe da zwei Wege. Beide sind bereits bekannt.
1) Kritik üben von Außen, beispielsweise aus der Wissenschaft. Mit der Gefahr, dann nicht gehört zu werden.
Oder aber
2) den Weg innerhalb der Institutionen zu gehen. An Positionen gelangen, die es ermöglichen, etwas zu verändern.

Doch funktioniert das? Schaue ich auf die Texte, die zur Kunst produziert werden oder ins Feld der Kunstvermittlung, stoße ich auf Menschen, zumeist Frauen, die unterbezahlt und viel arbeiten – deren Bezahlung über soziale Aufwertung (eben etwas mit Kunst machen) geregelt zu sein scheint. Das geht nur, wenn der Vermieter dennoch sein Geld bekommt, also ein bestimmter finanzieller Hintergrund da ist. Daneben, so glaube ich, brauchen WIR Gelegenheiten. So wie hier, heute, zur Museumsnacht einem EVENT[6] das für viele Besucher_innen gemacht ist und zu dem WIR zusammenkommen um über das WIE zu sprechen.
Idealistisch gesprochen: dass WIR in Positionen gelangen, Gelegenheiten antreffen, in denen sich etwas verändern lässt. Und dann, ohne sich selbst dabei im System so zu verankern, dass man es nicht mehr hacken kann, dass WIR es selbst nicht mehr hacken können.

Folgende (#Gretchen)Fragen wurden mir von den Veranstalterinnen für die Tischrede gestellt.
Was braucht Kunst?

Repressive Systeme produzieren Protest. Braucht Kunst reaktionäre Systeme, um dagegen anarbeiten zu können? Was passiert dann, wenn Systeme nicht reaktionär sind? Gegen was kann Kunst dann antreten? Was kann dann noch gehackt werden? Vielleicht braucht Kunst doch das IHR. Und UNS um zu vermitteln. Wären wir sonst arbeitslos?

Was will Kunst?
Weiß ich nicht. Als Vermittlerin denke ich manchmal: Sie will von mir, dass ich für sie eintrete, sie verteidige, kritisiere, mit ihr kollabiere, mich auf ihre Seite stelle, ihr Aufmerksamkeit verschaffe, für sie werbe, Sprache für sie finde, Zugänge offenlege oder allzu offensichtliche revidiere. Manchmal wiederum bin mir nicht so ganz sicher, ob sie das will. Ob sie überhaupt was will. Gibt es handelnde Abstrakta?

Was wollt ihr?
#Ihr? Das weiß ich nicht. Ich formuliere die Frage um. Was will ich? Meistens weiß ich nicht ganz genau, was ich will, aber ziemlich genau, was ich nicht will.
Aber doch: Ich will:
Gute Arbeitsbedingungen.
Wertschätzung von Arbeit, meiner und der anderer Personen.
Ich will Kollaboration. Mit Personen die es gewohnt sind zu kollaborieren – und mit solchen, die Kollaborieren noch lernen.
In den Diskurs einsteigen. Ihn verändern.
Shiften. Segeln, Drehen, wandeln und wenden, möglichst nicht (nur) um 180 oder 360 grad.
Freiraum, Dinge denken und auch umzusetzen.
Kritik üben – und damit gehört werden.
Trotz aller Kritik die Fähigkeit behalten, Dinge machen können, sich von der Kritik nicht
handlungsunfähig machen zu lassen.

*Was ICH jetzt gerade will, ist zugleich ein Knoten in meiner Argumentation.
Etwas, das meinen ersten Punkt zwischen WIR und IHR wieder aufnimmt: Nämlich an einen Punkt zu gelangen, an dem kritisches Sprechen nicht nur denkbar ist. Sondern machbar.

Kassel, im Juli 2013/ August 2015
P.S.: Der Vertrag für die Nutzung des Königspavillons wurde nach einem Sommer von der Deutschen Bahn nicht verlängert. Seitdem steht der Raum leer.

[1] David Levine / Alix Rule, zitiert nach Peter Richter in der Süddeutschen Zeitung am 8. Juni 2013
[2] Christian Demand: Die Beschämung der Philister, 2003
[3] Rahel Ziethen: Kunstkommentare im Spiegel der Fotografie Re-Auratisierung – Ver-Klärung – Nicht-kontingente Experimente. transkript Verlag 2013
[4] Hito Steyerl / Martha Rosler: International Disco Latin, eflux journal 5/2013.
[5] Tischreden zur Museumsnacht im Königspavillon Dresden. https://www.facebook.com/events/561607990549027/

Foto vom Tischgespräch, von Sara Burkhardt

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